Schuster Schröder
aus dem Steenkamper 1/2017
DAMALS
Erinnerungen einer Steenkamperin aus der Ebertallee
1920
Als Erstbewohner des Hauses zogen 1920 meine Großeltern Theodora und Paul Schröder mit ihren Söhnen Ernst (15) und Herbert (12) ein. Im Vorgarten des Hauses stand ein großes, schwarzes Glasschild mit Goldschrift, aus dem stolz hervorging, dass hier die Werkstatt des Schuhmachermeister des Paul Schröder war. Die heute schon fast ausgestorbene Kunst des Schuhmachens in Handarbeit war die Lebensgrundlage unserer Familie.
Mein Vater hat mir erzählt, dass sein Bruder, ein Junge der Nachbarschaft und er auf der Kreuzung Ebertallee/Osdorfer Weg mit ihren Spielzeugautos ungestört spielen konnten.
Unser Haus war, wie alle Häuser in der Straße, mit Rauputz bedeckt und mit wildem Wein bewachsen. In den Vorgärten blühten Rosen und vor jedem Haus war ein Kirschbaum. Die Blütenpracht im Frühjahr kann man sich gut vorstellen. Damals hatten die Leute in den Gärten hinter den Häusern Hühner, Kaninchen und sogar Schweine. Im Inneren der Häuser war unten eine Wohnküche und eine “Gute Stube” – mit dem einzigen Ofen im Haus.
1934 bis 1946
Meine ganz persönliche Erinnerung an das Haus fängt erst 1939/40 an, als ich im Alter von drei Jahren bei meinen Großeltern zu Besuch war. Ich verspüre noch heute die Freude, die ich empfand, wenn ich in die Ebertallee durfte. Ich liebte diese Straße in der Steenkampsiedlung mit ihrem grünen Allee-Bäumen, ich liebte den für meine Verhältnisse großen Garten, und vor allem liebte ich die Werkstatt meines Großvaters. Ich erinnere mich noch heute an den Geruch in diesem Raum: eine Mischung aus Leim und neuem Leder.
Ich durfte in dieser Werkstatt spielen, wie ich wollte und konnte dabei meinem Opa bei der Arbeit zuschauen, was mich enorm faszinierte! Ich sah, wie die Sohlen aus dem ausgebreiteten Leder am Boden zugeschnitten worden, wie Leim angerührt wurde und Nägel eingeschlagen wurden. Vom Kundenbesuch über alle Arbeitsschritte bis zur fertigen Arbeit und dem Abholen der Schuhe durch die zufriedene Kundschaft habe ich alles verfolgt: Ein Wunder, dass ich nicht auch Schuhmacher geworden bin. Dieses waren also meine ersten Erinnerungen, aber jedes Jahr – meistens im Sommer – kam ich weiterhin zu Besuch.
Beim Stichwort Sommer denke ich in erster Linie an den Garten mit Erdbeeren, Himbeeren, Stachelbeeren und Obstbäumen (Apfel, Birne, Pfirsich, Pflaumen, Quitte). Dort residierte meine Oma: eine große, schlanke, gutaussehende Frau, etwas introvertiert und unnahbar, aber voller Liebe für mich. Sie konnte sehr gut kochen und backen und machte Marme-lade und Säfte aus dem Obst des Gartens. Später hat sie auch oft mit mir gebastelt und mir Stricken und Klöppeln beigebracht, so dass ich Weihnachtsgeschenke für meine Eltern machen konnte. Ich habe immer ganz alleine und mit Begeisterung im Garten gespielt und die Hühner im Nachbarsgarten mit ausgegrabenen Regenwürmern gefüttert. (…)
Was ich auch noch deutlich in mein Bewusstsein eingeprägt hat, waren zwei Milchtöpfe aus Porzellan (einer mit grünen Streifen, einer orange), die auf einem kleinen Schränkchen im Flur standen, und jeden Tag kam der Milchmann mit seinem Pferdewagen durch die Straße, machte sich mit seiner großen Glocke bemerkbar, und Oma ließ beide Milchtöpfe mit ehrlicher, frischer Milch füllen. Es wurden auch oft Brötchen gebracht, die dann in einem bunten Leinenbeutel an der Haustür hingen. Im Frühherbst fand dann alljährlich das so genannte “Kinderfest” statt. Ein Siedlungsfest, wo verschiedene Sport- und Spielveranstaltungen gemacht wurden.
Die Steenkampsiedlung war mit Girlanden und Blumen geschmückt, und ein Umzug mit Schützenkönig und Spielmannszug kam durch alle Straßen. Ich glaube, ich war auch einmal auf so einem Wagen dabei, geschmückt mit einem Blumenkranz im Haar, bestehend aus (sehr übel riechenden) Tagetes. (…)
1950
Anfang der 1950er war die Ebertallee noch fast autofrei. Die Kinder und Jugendlichen fuhren dort Rollschuhe und spielten Federball. Ganz allmählich wurde der Autoverkehr stärker und stärker und am Ende der Dekade wurde der Osdorfer Weg von einer einfachen Landstraße mit Kopfsteinpflaster zu einer breiten Straße umgebaut und an der Kreuzung Ebertallee wurde dann eine Ampelschaltung installiert.
Etwa um diese Zeit wurde die ganze Siedlung bunt gestrichen in hässlichen, grellen Farben. Angeblich hatte man extra einen Farbfachmann aus Dänemark zu Rate gezogen. Häuser erstrahlten jetzt in rosa, hellgrün, zitronengelb und lila. Unser Haus hatte Glück und bekamen ein dezentes Grau mit dunkelgrauen Türen. Der wilde Wein musste dieser schrecklichen Farbe weichen. (…)
Danke für die Aufzeichnungen an die Enkelin des Schusters Schröder.