Heimstättervereinigung Steenkamp e.V. gegr. 1920

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Erich Hartmann

Erich Hartmann 1886-1974
Ein Künstler in Steenkamp (1922-1974)

von Elfriede Ziegler

Übersicht

1886 7.1.geboren in Elberfeld (heute Wuppertal-Elberfeld), Vater hat Kunst- und Buchhandlung
1903-1908Kunststudium in Düsseldorf und München, er malt impressionistisch
1908-1909 und 1912-1913Paris-Aufenthalte. Picasso, Matisse interessieren ihn, er will sich dem Kubismus zuwenden
1914-1918Soldat in Frankreich, 1918 verwundet, in Altona im Lazarett
1917Heirat mit Ida Jenichen aus Flottbek
1919gründet mit die „Hamburger Sezession“: Moderne junge Künstler der neuen Kunst, die vom Kubismus und Expressionismus inspiriert sind. Auch Hartmann nun expressionistisch.
1922Einzug in Steenkamp, Drosselweg 8 (heute: Am Torbogen). Ida und er ernähren sich aus dem eigenen Garten
1923beginnt er (mit 4 Abenden die Woche) Malkurse in seinem Haus. Er unterrichtet auch an der Hamburger Malschule Gerda Koppel
1926Öffentliche Aufträge, Wandbilder in Turnhallen, durch Fritz Schumacher, (die von den Nazis später zerstört werden )
1933 MärzDie Nationalsozialisten schließen die Ausstellung der Sezession, deren moderne Formen als „entartet“ verfemt werden. Sezession löst sich auf
1933-1945Hartmann versucht, gemäßigte Bilder, also Landschaften, Boote etc. in nicht zu modernem Stil auszustellen und zu verkaufen. 1938 erhält er sogar einen Wandbild-Auftrag für Kaserne Bergedorf, wo er sehr konventionelle Landschaften an die Wände malt. Für sich arbeitet er weiter in modernem Sezessionsstil
1944/45als Technischer Zeichner (Kriegsschiffe )  und im „Kulturluftschutz“ (Sicherung von Kunstwerken) tätig
1946ab 1.1.kann er an der Landeskunstschule Lerchenfeld lehren, bis 30.9.1952. Eine Rente bekommt er nicht, aber noch Lehraufträge bis 1957
1956Edwin-Scharff-Preis der Stadt Hamburg. Öffentliche Aufträge für Wandbilder in Schulen.
1968Seine Frau Ida stirbt. Er malt „Orpheus und Eurydike“. Freunde versuchen, ihn aus seiner Depression zu holen
1974 23.9.Hartmann stirbt mit 88 Jahren nach einem Schlaganfall auf Sylt, auf einer Reise

Erich Hartmann – ein Künstler der Hamburger Sezession in Steenkamp
Um 1920 – ein großer Umbruch, ein neuer Anfang, nicht nur in Steenkamp, sondern auch die jungen Künstlerinnen und Künstler in Hamburg schließen sich zusammen: „Die Hamburger Sezession“ wird gegründet, nimmt das Wort auf: „Sezession“, mit dem schon einige moderne Kunstgruppen in anderen Städten ausdrücken wollten, dass sie sich vom Althergebrachten absetzen.
Zu ihnen gehört Erich Hartmann, 1876 in Elberfeld geboren.
1922 zieht der Künstler in sein kleines Haus, von der SAGA gemietet, am Drosselweg, Ecke Grenzstieg (heute: Am Torbogen/Veit-Stoß-Weg ).
Er ist verletzt aus dem Weltkrieg zurückgekommen, und zieht nun zu seiner jungen Frau Ida Jenichen, erst einmal zu ihrer Familie in die Baron-Voght-Straße. 1917 haben sie geheiratet. 1913 hat sie ihn noch als seine Verlobte in Paris besucht, wo er sich sehr inspiriert fühlte von der französischen Kunst, Kontakte zu den Künstlern gefunden hatte. Dann muss er in den furchtbaren Krieg ziehen, plötzlich werden im August 1914 Feinde aus den Freunden. Es erinnert mich sehr an das Schicksal meiner Großeltern Truelsen, die im August 1914 (als Verlobte) in Frankreich waren, und als ein Museumswärter ruft : „La guerre est déclarée!“ (= Der Krieg ist erklärt) Hals über Kopf abreisen müssen, und mein Großvater an die Front muss.
Hartmanns Anfänge bei seinem Studium in München liegen im Impressionismus. Sein Lehrer Gröber war ein Verehrer von Leibl (s. „Drei Frauen in der Kirche“ in der Hamburger Kunsthalle ) und Trübner, einem deutschen Impressionist, dessen Malweise Hartmann eine Zeit lang aufnimmt, mit größeren, festeren Flecken malend, statt der feinen Tupfen der französischen Impressionisten.
Aber nach dem Krieg wird sein Stil anders, er begeistert sich für Schmidt-Rottluff. Der neue Expressionismus wird nun für ihn und fast alle in der Sezession zur neuen Ausrichtung. Die Körperformen werden zackiger, vereinfachter. Die „ richtigen“ Proportionen werden dem Gestaltungswillen des Künstlers untergeordnet. Die Farben werden leuchtend, die räumliche Darstellung wird unrealistisch, frei gestaltete Flächen, mit den „verzerrten“ Figuren. Was dann ab 1933 dazu führt, dass besonders die Expressionisten von den Nazis als „Entartete Kunst“ verfemt werden.
Um 1925 werden die Bilder von Hartmann ruhiger, die aufgeregte expressionistische Spannung nimmt ab, dafür kommen große feste Formen, vereinfachte Figuren auf, aber in natürlichen Proportionen, wie das Pärchen mit Fahrrad am Rüsternkamp, wo wir Steenkamp wiedererkennen können. Er nähert sich dem Stil der „Neuen Sachlichkeit“ an. Auf einem Bild ist auch der Garten mit dem noch heute dort stehenden Schuppen- Häuschen gut zu erkennen. Und er stellt seine Frau Ida vor dem Haus im Garten dar.

Als Kind wurde mir das Atelierfenster im Dach im Veit-Stoß-Weg gezeigt: Da wohnt ein Maler. Und Oma hat bei ihm Malunterricht gehabt! Vor dem 2. Weltkrieg. Beim Großreinemachen im Frühjahr und Herbst wurden im Quickborn 1 dann auch immer die Schränke ausgeräumt, und ich bestaunte einige echte Ölgemälde meiner Oma, auf Leinwand, die dann aber wieder unten in den Schrank wanderten. Heute habe ich ein kleines Blumenstillleben von ihr hier in meinem Arbeitszimmer hängen. Es ist ein gemäßigter Impressionismus, ich vermute, Hartmann wollte die bürgerlichen Damen wohl nicht mit dem wilden Expressionismus konfrontieren und griff auf seine Zeit als Impressionist zurück.
Er malt dann selbst ab 1930 im „Sezessionsstil“ (wie seine Freunde Kluth, Bargheer , Willem Grimm, Karl Ballmer) , in dem die Formen sehr gerundet und fließend erscheinen (angeregt durch den Norweger Edvard Munch). Es wird stark vereinfacht, aber Landschaften und Figuren bleiben angedeutet erkennbar. Typisch sind auch die andersfarbig locker um Flächen spielenden Konturlinien.
Dieser spezielle Stil der Hamburger Gruppe hatte sich gerade herausgebildet, als 1933 die Auflösung der Vereinigung von den Mitgliedern selber beschlossen wird, weil man die jüdischen Mitglieder nicht ausschließen wollte, wie von den Nazis gefordert. Danach kann die Sezession auch keine Ausstellungen mehr machen. Hartmann kommt in eine sehr schlechte wirtschaftliche Lage, ein Briefentwurf an die SAGA ist erhalten, wo er von einem schon erhaltenen Mietnachlass von 12,- RM spricht, er aber auch die 63,90 RM nicht tragen kann, und um Ermäßigung auf 45-50 RM bittet. Er weist darauf hin, dass er immerhin 11,5 Jahre nie die Miete schuldig geblieben ist. (1 RM = 4 EU)
Bis sie als Juden ins Exil gehen müssen, besuchen ihn der Maler Kurt Löwengard und die Malerin Gretchen Wohlwill, beide auch in der Sezession, gerne in Steenkamp. 1937 werden sechs Bilder von ihm aus der Hamburger Kunsthalle entfernt, zusammen mit vielen anderen Bildern, die jetzt als „entartet“ diffamiert werden. Alle progressiven Museumsleute (G. Pauli – Kunsthalle, Sauerlandt – Museum für Kunst und Gewerbe, Hildebrand Gurlitt vom Kunstverein, Fritz Schumacher, der Stadtbaurat ) waren gleich 1933 entlassen worden.
Die wenigen öffentlichen Aufträge, die er 1938 noch bekommt, versucht er mit sehr konventionellen Darstellungen zu erledigen, um keinen Anstoß zu erregen (Kasernen Bergedorf und Finkenwerder). Weil er im 1.Weltkrieg verwundet worden war, wird er nicht mehr eingezogen, muss aber als Technischer Zeichner (Firma Puschmann, Kriegsschiffe) und im „Kulturluftschutz“ helfen, die Kunstwerke der Hamburger Museen zu sichern.
Nachdem der Krieg 1945 zu Ende ist, gibt es an der Landeskunstschule (später Hochschule für Bildende Künste) am Lerchenfeld einen großen Neuanfang für die Künstler der Sezession:
Ahlers-Hestermann wird Direktor, Hartmann, Kluth, Willem Grimm werden Professoren. Mit 60 Jahren hat Hartmann also nun endlich eine feste Stellung, aber muss sich mit Anträgen bemühen, bis zum 30.9.1952 im Amt bleiben zu dürfen, und er erhält keine Rente, aber Lehraufträge bis 1957. Und er erhält mehrfach Aufträge für Wandbilder in Hamburger Schulen, wo er nun endlich wieder seinen persönlichen modernen Stil anwenden kann, den er bei den Nazis unterdrücken musste. 1956 erhält er zusammen mit dem Bildhauer Ruwoldt den höchsten Hamburger Kunstpreis, den Edwin-Scharff-Preis.
1968 stirbt seine Frau Ida und er versucht, diesen Schicksalsschlag mit Bildern von „Orpheus und Eurydike“ zu verarbeiten – da geht es ja auch um die Liebe zu einer Frau im Jenseits. Seine Schülerin Gabriele Schweitzer-Daube (aus Hochkamp) kümmert sich um ihn, in ihrem Haus in Kampen war er schon früher viel mit Ida, und dort stirbt er auch 1974.
Wenn man ihn mit unserem anderen Steenkamper Künstler vergleicht – Georg Hempel – so ist schon die Ausgangslage ganz anders: Hempel kam aus ärmlichsten Verhältnissen, war Autodidakt. Bei Hartmann ist der Vater ein Kunst- und Buchhändler, der ihn mit Kunst und Büchern von Jugend an vertraut macht und sein Kunststudium bis 1908 auch finanziell unterstützt. Während Georg Hempel in seinem Winkel (Rosenwinkel) bleibt, findet Hartmann Mitstreiter in der Sezession, und machte auch sehr viele Bildungsreisen in ganz Europa, um Kunstwerke kennenzulernen. Er findet Kontakt zu den neuesten Kunstströmungen seiner Zeit. Einige seiner Bilder hängen heute in den Hamburger Museen. Seinen schriftlichen Nachlass hat die Kunsthistorikerin Maike Bruhns in ihr ARCHIV FÜR VERFOLGTE KUNST (AVK ) im Warburg-Haus gegeben.
Im Jenischpark widmet sich seit einigen Jahren ein kleines Museum dem Maler Eduard Bargheer, hier kann man den typischen Sezessionsstil sehen. Durch den Einbruch der Nazi-Zeit sind diese Künstler und Künstlerinnen nicht so bekannt geworden, wie sie es wohl verdient hätten.
100 Jahre Steenkamp und 100 Jahre Sezession Hamburg fallen fast zusammen – ein guter Anlass, an Erich Hartmann zu erinnern.

Elfriede Ziegler, im August 2020
Elfriede Ziegler ist pensionierte Kunstlehrerin und ist Am Quickborn 1 in der Steenkampsiedlung aufgewachsen.


Quellen:
Dissertation Stefanie Kristina Werner zu Erich Hartmann, Hamburg 2009
Zu finden im Internet unter https://ediss.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2011/5355/index.html Bilder sind dort zu sehen unter „Katalog“ – im Werkverzeichnis findet man auch Bilder mit Steenkamp-Bezug, z.B. Gemälde mit den Nummern 77, 80, 81, 137 und bei den Papierarbeiten „Drosselweg 1922“.
Der Neue Rump, Lexikon der Bildenden Künstler Hamburgs, Altonas und der näheren Umgebung, 2005