Der Emmichbrunnen im Riemenschneiderstieg
aus dem Steenkamper 2/2022 von Sebastian Buchholz
Heute soll an dieser Stelle ein Blick zurück in den Riemenschneiderstieg geworfen werden. Dass der Grundstein zur Steenkampsiedlung genau hier gelegt wurde und diese Häuser zusammen den allerersten Bauabschnitt (1914–1915) bilden, ist hinreichend bekannt. Auch die Herkunft des Straßennamens lässt sich auf den Bildhauer und Schnitzer Tilman Riemenschneider (um 1460–1531) zurückführen und reiht sich in die Namensgebung mit künstlerischem Hintergrund der in und um den Steenkamp herum liegenden Straßen ein. Dass diese Straße aber von 1914–1947 Emmichstraße genannt wurde und dort ganz am Ende der Sackgasse auch ein Brunnen mit gleichem Namen stand, ist mit Sicherheit nur noch den älteren Semestern und den direkten Anwohnern des Riemenschneiderstieges bekannt. Der Brunnen mit dem Denkmal wurde im „Schmuckhof“ der damals noch als Kriegerheimstätten bezeichneten Siedlung gebaut und am 7. August 1916 von Senator Marlow und Oberbürgermeister Schnackenburg zu Ehren des preußischen Generals Otto Albert Theodor Emmich (1948–1915) eingeweiht.
Fortan war dieser als Sehenswürdigkeit und Denkmal im Altonaer Adressbuch verzeichnet. Es ist ein klassisches Exempel des militaristischen und nationalistischen Heldenkultes dieser Zeit. Der sog. „Eroberer von Lüttich“ steht aber noch heute in der Kritik und gilt als typisches Beispiel für die bis heute stattfindenden Umbenennungen von Straßen, Plätzen und Orten, die noch immer die Namen aus dieser Epoche tragen. Wenn man den Diskurs darüber verfolgt und die allgemeine öffentliche Meinung dazu betrachtet, ist die Epoche dieser aus der Zeit gefallenen Heroisierungen definitiv passé, wenn auch historische Begebenheiten immer Platz der Erinnerung oder auch Mahnmale zugleich sein können.
Exkurs: Otto von Emmich war nämlich der erste deutsche General, der bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit seinen Truppen am 4. August 1914 einfach in das neutrale Belgien einmarschierte. So gesehen ist diese Tat also eindeutig ein Überfall auf die neutralen Staaten Belgien und weiterhin Luxemburg gewesen und somit als völkerrechtswidrige Invasion zu deuten. Ebenfalls ging es anschließend darum, die belgische Stadt Lüttich im „Handstreich“ einzunehmen, wobei sich Otto von Emmich besonders hervor tat. Lüttich wurde bereits am 7. August 1914 eingenommen und bis die letzten der 12 umgebenden Forts kapitulierten, vergingen nur 9 weitere Tage. Bei den Kämpfen von Lüttich wurde aber noch eine weitere traurige Grenze überschritten – es kam erstmals zur Erschießung von Zivilisten. Dies war der Beginn einer langen Reihe von schrecklichen Kriegsverbrechen des deutschen Militärs an der belgischen Zivilbevölkerung. Kein Wunder also, dass man sich überall in unserem Land von diesen kriegerischen Relikten, und erst recht von diesem Namen, trennen will.
In Bezug auf den Riemenschneiderstieg gibt es diesbezüglich aber auch eine nette Anekdote. Viele Jahre später und erst recht nach dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 waren nämlich die Nationalsozialisten eifrig damit beschäftigt Straßen, Plätze und viele weitere Orte nach ihrer Gesinnung umzubenennen. Während also z.B. die Friedrich-Ebert-Allee zur Horst-Wessel-Allee wurde und eigentlich sogar in Rembrandtstraße umbenannt werden sollte, sowie ringsum im Steenkamp einige Straßennamen geändert werden mussten, weil es gleiche Namen schon im restlichen Hamburg gab, blieb die Emmichstraße vorerst die Emmichstraße. Der Name passte gut ins Legenden-Portfolio der Nationalsozialisten. Und auch wenn sich die „vorläufigen“ Namen nie wirklich bei den SteenkamperInnen durchzusetzen schienen und in den Irrungen und Wirrungen des Krieges nur bis 1943 im Altonaer Adressbuch zu finden sind, ist es doch verwunderlich, dass eigentlich der damalige Lohweg in Riemenschneiderstieg umbenannt werden sollte. Verdanken kann man die Weitergabe des Namens wohl dem Altonaer Senator Wilhelm Sievert, der zu Lebzeiten im Lohweg 2 wohnte und der heutige Namensgeber dieser Straße ist.
Denn im gleichen Atemzug radierte man 1947 den Namen der Emmichstraße aus der Steenkamper Geschichte und nannte diese fortan Riemen-schneiderstieg. Anzunehmen ist auch, dass der Brunnen im gleichen Zuge abgebaut wurde. Überliefert ist zumindest ein reges Spielen der Kinder auf und um den Brunnen herum, sodass nicht nur der Adler auf dem Emmichbrunnen wortwörtlich während der vorangegangenen drei Jahrzehnte seine steinernen Federn lassen musste. Eine Sanierung stand mit Sicherheit in der Nachkriegszeit außer Frage, so dass Emmich auf diese Weise das Zeitliche nochmals segnete. Was bleibt ist die Gedenktafel zwischen den Durchgängen zur Wichmannstraße, ohne direkten Emmich-Bezug. Einer heutigen Diskussion zur Umbenennung der Straße ist der Riemenschneiderstieg aber auf diese Weise genau 75 Jahre zuvorgekommen.
Sebastian Buchholz